Frau Müggler Zumstein, das Forschungsprojekt «ExxE» basiert auf der Masterarbeit «Klinker-Spiel» von Cornelia Gassler. Was ist bemerkenswert an dieser Ausgangslage?

Unsere ehemalige Studentin hat in ihrer Masterarbeit einfache Veredlungswerkzeuge für den bestehenden Produktionsprozess skizziert und das Thema der Keramik-Strukturen im Laborsetting bearbeitet. Ich durfte bereits diese Masterarbeit mentorieren. Aus der Studentin ist inzwischen eine Forschungskollegin geworden. Das Potenzial der Idee hat sich weiter entfaltet, indem wir in diesem Forschungsprojekt die Ergebnisse auf den industriellen Massstab skaliert haben. Hierbei ist die Wechselwirkung von Konzept und Produktion zentral.

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Das Potenzial der Idee hat sich weiter entfaltet, indem wir in diesem Forschungsprojekt die Ergebnisse auf den industriellen Massstab skaliert haben.
Aus welchen Gründen war das Forschungsprojekt «ExxE» aus Ihrer Perspektive besonders relevant?

Das neu entwickelte Werkzeugsystem schafft Steinstrukturen, die es so noch nie gegeben hat. Das Verfahren eröffnet einen Fundus an Möglichkeiten, welcher Architekten ermöglicht, individualisierte Steine in «kleinen» Stückzahlen zu produzieren. Das Projekt hinterfragt die bisherigen ästhetischen Normen der industriellen Produktion, welche Perfektion in der Reproduktion von Backsteinen anstrebt. Deshalb wollten wir im Projekt die weitgehend verschwundenen Mikrostrukturen wie Abweichungen in Textur oder Farbe wieder beleben. Das neue Verfahren erlaubt auf einfache Art und Weise, Qualitäten wie Farbveränderungen vom Brand oder Produktionsspuren und Strukturoberflächen industriell zu generieren. Relevant ist die Grundhaltung, dass «studioartige» Imperfektion auch in der industriellen Produktion einen Mehrwert generiert.

Sie sprechen beim Projekt von «material-getriebenem Prozessdesign». Was heisst das genau?

Der Forschungszugang repräsentiert in erster Linie die Idee, dass Formgebung variabel aus einem dynamischen Prozess hervorgeht. In einem material-getriebenen Prozess bestimmen die Parameter des Werkzeugs und die Eigenart des Materials die Formgebung des Endproduktes. Das neu entwickelte Werkzeug-System, welches unterschiedlich kombiniert und moduliert werden kann, bringt unzählige Typen von strukturierten Backsteinen hervor und ermöglicht den beteiligten Akteuren wie Kunden, Architekten etc. mit diesen Parametern neue Oberflächen zu entwickeln. Indem diese Akteure im Prozess zusammenwirken, ist ein Prozessdesign entstanden, in dem die Rolle des Designs von allen Akteuren kollektiv eingenommen wird.

Wie verliefen die Experimente in der Ziegelei?

Die Zusammenarbeit in der interdisziplinären Projektgruppe bestehend aus Designern, Maschinenbauern und der Entwicklungsleitung der Kubrix AG war bereichernd, auch wenn die Zugänge zum Thema Backstein divergent waren. Ideen sind vielfach ausgehandelt und erst dann zu konkreten Ansätzen für Werkzeugelemente weiterentwickelt worden. Daraufhin wurden die Produktionsarbeiter der Kubrix AG involviert. Insgesamt wurden acht Experimente direkt in der Produktion durchgeführt. Die getrockneten Klinker sind anhand ihrer Struktur auf der Oberfläche visuell beurteilt und hinsichtlich Attraktivität und Eignung als Architekturoberfläche validiert worden. Von den so ausgewählten Klinkern wurden dann sogenannte Musterplatten hergestellt, um ihre Flächenwirkung mit Fugen zu zeigen.

Wie wird die Ästhetik der in Form und Struktur variablen Klinker gesteuert?

Die Herstellung basiert auf einer Kombination von diversen Produktionswerkzeugen. Was wir gesucht haben, war ein modulares Werkzeugset, das unzählige Variationen in Form von Strukturen und Farbgebung ermöglicht.

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Was wir gesucht haben, war ein modulares Werkzeugset, das unzählige Variationen in Form von Strukturen und Farbgebung ermöglicht.
Die Ziegel sind industriell produziert, aber nicht alle identisch. Also eigentlich das Gegenteil von Perfektion?

Wie bereits erwähnt war das Ziel, die «studioartige» Imperfektion in Variation und Diversität reproduzieren zu können. Technisch war die Machbarkeit im interdisziplinären Team durch kreative Lösungsfindung und Aufteilung in Unterthemen durchaus zu bewältigen. Was das Beurteilungssystem der neuartigen Backsteine anbelangt, war dies der schwierigere Teil des Projektes. Plötzlich mussten die an Perfektion gewöhnten Akteure einen Perspektivenwechsel vollbringen, sozusagen über den eigenen Schatten der Gewohnheit springen und sich darauf einlassen, neu die gesuchte, qualitative Imperfektion zu kultivieren.

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Das Ziel war es, die «studioartige» Imperfektion in Variation und Diversität reproduzieren zu können.
Was machte das Forschungsprojekt «ExxE» im Rückblick besonders speziell?

Zunächst, dass wir eine Fülle von Ergebnissen erzielen konnten. Es ist gelungen, dass unser Forschungspartner Kubrix AG diese marktnah verwertet und daraus ein neues Angebot entwickeln kann. Das ist nicht selbstverständlich, weil Forschung immer mit Risiken verbunden ist. Alle Beteiligten aus Design, Technik und Produktion haben gemeinsam, beharrlich und neugierig unbekanntes Terrain betreten. Dies stets geleitet von der Suche nach der einzigartigen und zugleich als Variation reproduzierbaren Backsteinoberfläche.

Herzlichen Dank für die spannendenen Einblicke in die Entwicklung.

Gerne!

Aus dem Forschungsprojekt «ExxE» ist nun die Designlinie kelesto Signa entstanden. Entdecken Sie hier mehr dazu.