Seit jeher ist der Mensch in Wanderungsbewegung. Ohne diese wäre die heutige Schweiz undenkbar. Gerade im 19. Jahrhundert kommt es zu umfassenden Migrationsbewegungen aufgrund fortschreitender Industrialisierung, was auch die Keller Ziegeleien betraf.

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Lehmgrube im Bruni, im Hintergrund ist die Ziegelei Pfungen zu sehen, um 1905.
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Ein Teil unserer Unternehmensgeschichte

Trotz maschineller Unterstützung ist die damalige Ziegelherstellung ein vorwiegend manueller Vorgang: Der Lehm wird per Hand gestochen, was enorm anstrengend ist, in der Fabrikation müssen die Ziegel während der seriellen Produktion immer wieder von Hand umgelagert und in diversen Brennkammern des Ringofens kunstvoll aufgeschichtet werden. Auch das Einlagern der gebrannten Ziegel, der Verlad und Transport setzen einiges an Muskelkraft voraus. In dieser Zeit ist die Rekrutierung von Arbeitern sehr aufwändig. Zwar sind Kleinbauern und Tagelöhner aus Neftenbach und Pfungen harte Arbeit gewohnt, doch viele ziehen eine Tätigkeit in der Decken- und Tuchfabrik Rotfarb oder in den nahen Maschinenfabriken von Winterthur vor. Daher stammen in den 1870er- und 1880er-Jahren viele Ziegler aus dem Ausland, vorwiegend aus den grenznahen süddeutschen Regionen. Deutschland verfügt über eine lange und stolze Ziegeleitradition, seine Facharbeiter strömen nach ganz Europa aus. Als standesbewusste Saisonniers kommen sie im Frühjahr auch über die Schweizer Grenze, wohnen in Kosthäusern und kehren im Spätherbst wieder zu ihren Familien zurück. Als 1878 das eidgenössische Fabrikgesetz in Kraft tritt, begehren die süddeutschen Gastarbeiter bei Keller dagegen auf. In einer Eingabe an den Bundesrat ersuchen sie, man möge doch den Akkordzieglern gestatten, ihre Arbeitszeit selbst einzuteilen, schliesslich hätten sie eine Familie zu ernähren. Den Gesuchen wird aber nicht entsprochen, Überstunden müssen fortan beantragt werden, wovon der Patron Jakob Keller regelmässig Gebrauch macht. 1879 gründen die Arbeiter der Ziegelei Neftenbach einen Krankenunterstützungsverein, dessen Mitgliedschaft obligatorisch ist. 1913 wird dieser in eine Betriebskrankenkasse umgewandelt. Einige Ziegler aus Deutschland ziehen mit ihren Familien nach Pfungen und lassen sich dort dauerhaft nieder.

In den 1950er-Jahren wachsen viele Städte enorm. Die Wirtschaft floriert und es entstehen zahlreiche Arbeitsplätze. Dennoch macht Personalknappheit vielen zu schaffen, da einheimische Berufstätige die «dreckige» Arbeit kaum mehr erledigen wollen. Es sind dieses Mal vorwiegend italienische Saisonniers, die geholt werden; ein Phänomen, das weit über die Winterthurer Grenzen hinausgeht.

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Der Auftakt der Ausstellung «Reality Check!» lädt Besucher*innen dazu ein, den verschiedenen Spuren der Migration in Winterthur nachzugehen. Wer sich heute durch die Stadt bewegt, stellt schnell fest, dass Migration überall sichtbar ist. In der Altstadt, im Stadion oder im Quartier, vielerorts überlagern sich diverse Kulturen und Nationalitäten. Eine Trennung in «Wir» und «Fremde» ist längst unmöglich geworden. Die Besucher*innen erkennen, Migration beeinflusst die gesamte Gesellschaft, prägt und verändert sie stetig.

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Die Vielfalt der Migrationsstadt ist aber mit Hürden, teils Leid und Ungerechtigkeit verbunden. Der Zugang ins Einwanderungsland und die Arbeitsmöglichkeiten sind streng reguliert. Im nachgebauten Migrationsamt beleuchtet die Ausstellung die komplexen Regelungen der Migrationsbürokratie. Sind die Zulassungsverfahren für viele Migrant*innen eine prägende Erfahrung, sind diese für Schweizer Bürger*innen meist eine unbekannte Welt. Die Geschichte von acht immigrierten Winterhurer*innen bilden das Herzstück der Ausstellung. In Videoporträts erzählen sie von ihrer Ankunft in Winterthur sowie von Freuden und Herausforderungen im (Berufs-)Alltag und bieten interessante Einblicke in transnationale Lebenswelten.

Nur ein sehr kleiner Teil der Ausstellung ist den Ziegeleien gewidmet, das Thema hat uns aber auch aufgrund unserer eigenen Geschichte sehr interessiert. Klar, dass wir die Steine im Eingangsbereich als Riemchen angebracht und in der Hauptausstellung als Boden und Sitzgelegenheit gerne zur Verfügung gestellt haben. Schauen Sie vorbei, diese eindrückliche Ausstellung, die bis zum 26. Januar 2025 läuft, ist auf jeden Fall einen Besuch wert.